Post-Scriptum
Es ist jetzt drei Jahre und zwei Monate her, seit ich das Nachwort geschrieben habe, das Sie vermutlich gerade gelesen haben.
Aus heutiger Sicht kommt mir der Text so naiv vor, wie er unbedarft in seiner Gegenwart klemmt und sich aufgeregt einer Zukunft entgegenreckt, die er, im Gegensatz zu mir, noch gar nicht kennt.
Seit ich Aboud Saeeds Texte auf Facebook entdeckt hatte, habe ich mir gewünscht, sie mögen eine große Verbreitung finden und zumindest bei einigen Lesern die Art und Weise verändern, wie sie über Syrien denken und wen oder was sie damit assoziieren.
Ich wünschte mir, dass die Leser einen Freund finden würden in Aboud. Einen Freund in jenem Land, das sie täglich in den Nachrichtensendungen zerschellen sehen.
Und wie einem Freund, den ich seit drei Jahren nicht gesehen habe, erzähle ich Ihnen jetzt im Zeitraffer, was seither alles geschehen ist.
Immerhin war zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Nachworts schon klar, dass das Buch beim Berliner eBook-Verlag mikrotext erscheinen würde. Drei Wochen später präsentierten wir es auf der Leipziger Buchmesse. Die dazu geplante Skype-Live-Schaltung mit Aboud fand nicht statt, da er gar nicht mehr erreichbar war, weder über Internet, noch über Telefon, für zwei Monate waren alle Leitungen ins nordsyrische Manbidsch gekappt. Während jener buchstäblichen Funkstille war es auch, dass sich ein deutscher Journalist nach Syrien aufmachte, um nach Aboud zu suchen und einen Fernsehbeitrag über ihn zu drehen. (Nachdem der Journalist längst aufgegeben hatte, begegnete er Aboud schließlich durch puren Zufall, auf dem Rückweg, an der syrisch-türkischen Grenze.). Wir machten weitere Lesungen und es folgten viele Zeitungsartikel, ein Radiohörspiel, die deutsche Indie-Pop-Band „Das weiße Pferd“ machte aus Abouds Statusmeldungen einen Song namens „Der Diktator hört keinen Jazz“, und beim argentinischen Verlag Mardulce erschien eine spanische Version des Buches. All das half uns (uns: der Verlegerin Nikola Richter und mir) dabei, das deutsche Auswärtige Amt davon zu überzeugen, Aboud Saeed einen Fremdenpass an die deutsche Botschaft in Ankara zu schicken, damit er aus dem Bildschirm springen und sich in Deutschland materialisieren konnte. Aboud besaß nämlichen keinen syrischen Pass und als Fahnenflüchtiger konnte er auch keinen beantragen. Also rannte Aboud illegal mit den Gewehrsalven des türkischen Grenzschutzes im Ohr über die syrisch-türkische Grenze. Der Rest seiner Reise nach Deutschland verlief unspektakulär und völlig legal. Im Oktober 2013 landete er in Berlin, wo er politisches Asyl bekam und bis heute lebt. Es gab viele Leseperformances und noch mehr Zeitungsartikel. In einer anderen Dimension, in Syrien, wurde im Februar 2014 Manbidsch vom IS eingenommen und dabei Abouds Bruder Abu Hussein (der im Post vom 2.1.2013 sagt: „Ich ficke dieses Hocharabisch!“) getötet.
Widerwillig ließ sich Abouds Mutter schließlich überreden, mit den restlichen Geschwistern in die Türkei auszuwandern. Im Frühling 2015 erschien Aboud Saeeds zweites Buch „Lebensgroßer Newsticker - Szenen aus der Erinnerung“ auf Deutsch (eBook: mikrotext, Buch: Spektor Books) und derzeit schreibt Aboud an seinem ersten Roman. Eine Theaterinszenierung von „Der klügste Mensch im Facebook“hat es inzwischen auch schon gegeben (Theater Ballhaus Naunynstraße; Regie: Kerim Cherif), außerdem wird das Buch gerade ins Dänische und Französische übersetzt und seit November 2015 schreibt Aboud die Kolumne „Syronics on Speed“ für VICE Germany und eine weitere Kolumne für die deutsche Tageszeitung taz.
Ich weiß. Wenn ich Ihnen die Nachrichten aus dem Paralleluniversum Syrien jetzt erspart hätte, hätten Sie sich vielleicht über diese kleine Erfolgsgeschichte einfach freuen können, ohne diesen bitteren Beigeschmack. Die Bitterkeit dieses Spagats ist jedoch omnipräsent, bei den Texten von Aboud, die in Deutschland entstanden sind, aber auch bei Lesungen. Wir hatten schon viele Leseauftritte zusammen, und ich habe das Gefühl, je größer der Auftritt, desto größer wird die gefühlte Absurdität dieses Spagats bei Aboud, sodass er manchmal dem versammelten Publikum sagt: „Ich bin keine Stimme des syrischen Volkes oder der „Flüchtlinge“. Ich kann nur für mich selbst sprechen. Und Teil des Problems ist eben auch, dass ich jetzt hier ein Podium habe, weil ich ein Buch geschrieben habe, aber die Leute, die wirklich etwas zu sagen haben, die, die jetzt gerade gegen das Regime und den IS kämpfen, diejenigen, die immer noch in Syrien sind, die Zivilisten, die unter Belagerung leben: die hört keiner.“
Berlin, 27.4.2016