How it all began and why
Es fing alles an mit einer Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt im Jahr 2004, zu der mich mein damaliger Freund mitgeschleppt hatte. Ich studierte damals Kunst und wollte Malerin werden. Die Ausstellung hieß Contemporary Positions of Iranian Artists. Wir liessen den Teil mit der visuellen Kunst aus, wir waren spät dran und auch nicht sehr engagiert, aber wir schafften es noch zum Filmprogramm: zeitgenössische Dokumentarfilme von iranischen Filmemachern. Es wurde gerade ein Film gezeigt über junge Frauen, die in Teheran auf der Straße leben.
Es gab Interviews mit verschiedenen Leuten, mit Männern und Frauen, viele Stadtaufnahmen und Szenen in Parks. Ich glaube, weil die Frauen um die es ging, teilweise dort übernachteten. An den eigentlichen Film kann ich mich nicht wirklich erinnern. Er hat mich damals auch nicht umgehauen. Beziehungsweise konnte ich ihn wahrscheinlich gar nicht beurteilen, da mich in Wirklichkeit etwas anderes, nicht artikuliertes gebannt hatte. Der Film zeigte, dass es in einem Land, von dem ich gar nichts wußte, außer, dass da irgendwas mit Islam und Orient los war, eine derart riesige, moderne Stadt gab. Mit acht Millionen Einwohnern, Parks und U-Bahn. Und die Leute, die in dem Film zu Wort kamen, kamen mir ziemlich gewöhnlich vor und ihre Art zu reden und zu gestikulieren wirkte vertraut.
Diese Information, die mir der Film als sein selbstverständliches Setting nebenbei vermittelte, war es, was mich eigentlich umhaute. Ohne, dass ich das so hätte sagen können. Oder besser gesagt: das Bewusstsein, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, von einer Region, von der man nur eigenartige, verstörende Realitätsfetzen über die Medien mitbekam, immer irgendetwas mit Gewalt und Religion, und wenn, dann auch nur als Randgeschichte. Da gab es also eine Riesenstadt, zu deren Leuten und Urbanität ich sofort einen visuellen Bezug herstellen konnte. Bevor ich nach Berlin zog, hatte ich vier Jahre in Neapel gelebt. Irgendwie fand ich die iranischen Leute in dem Film ähnlich zu vielem, was ich schon kannte. Wenig später kaufte ich mir in einem Antiquariat ein Buch über den Iran, einen Reiseführer aus einer Reihe mit dem bescheuerten Namen „Kulturschock“. Nicht, weil ich vorhatte in den Iran zu reisen, sondern einfach weil das Buch das erste war, was mir unter die Finger gekommen war. Vor allem interessierte mich der Teil über Gesellschaft, Politik und zeitgenössische Geschichte. Gerade sehe ich allerdings, dass bereits 2003, also ein Jahr vorher, ein Amazon-Rezensent über diesen Reiseführer schrieb: „Das gezeichnete Bild des Alltags der Menschen ist überholt und z.T. nur noch von historischem Wert - in den 10 Jahren seit das Buch entstanden ist, hat sich das Land gründlich verändert - das Kopftuch sitzt bedeutend lockerer. Nach einer vierwöchigen Reise durch den Iran erscheint es mir, dass das Buch mit seinen beständigen Warnungen und Ermahnungen eher zur Zementierung von Vorurteilen beiträgt als dass es diese abbaut.“
Jedenfalls entwickelte ich so eine kleine Leidenschaft für Reiseführer, und kaufte mir gleich im Anschluss daran einen Reiseführer aus derselben Reihe über die Riesenmetropole Kairo, einfach weil er auch im selben Antiquariat auslag. Abgesehen von der atemberaubenden Vorstellung einer Stadt mit einer Einwohnerzahl von geschätzten 25 Millionen und der Faszination, die die dystopischen Bilder eines staubig-gelben Hochhäuser-Meeres auf mich ausübten, las ich in diesem Reiseführer zum ersten Mal die Information, dass Arabisch, Ägyptens Amtssprache, gleichzeitig die Amtssprache weiterer 24 Länder ist. Dann dämmerte mir etwas, und es machte mich ganz nervös: Wenn diese eine Stadt so wahnsinnig groß ist - und offenbar gibt es in der Region noch etliche andere große Städte - da muss es doch auch viele Leute geben wie mich! Leute die Kunst machen, Leute die interessante Sachen schreiben, Theater und Filme machen, Leute die sich über die Welt Gedanken machen. Von denen war im Reiseführer natürlich nicht die Rede, aber die bloße Dimension der arabischsprachigen Welt ließ mich fast sicher annehmen, dass es da viele interessante Leute und Gedanken geben musste. Von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Und diese Vorstellung fand ich, in Relation zu den Dimensionen und der geographischen Nähe irgendwie skandalös.
Es ließ mir keine Ruhe mehr. Ich suchte in Berliner Stadtbibliotheken nach Filmen von arabischen Regisseuren und irgendwer gab mir den Tipp mit der Mediathek der Humboldt Uni. Dort gab es viele Filme, meistens auf VHS. Ganze Tage verbrachte ich mit Kopfhörern vor Bildschirmen in der Mediathek und sah mir einen Film nach dem anderen an. Die Filme der Regisseure Nouri Bouzid, Merzak Allouache und Atef Hetata bestätigten meinen Verdacht: Na bitte, das war schon einmal eine Reihe sehr interessanter Leute. Vom - zugegeben etwas kitschigen - Musical-Film „Destiny“ von Youssef Chahine erfuhr ich zum ersten Mal von Andalusien und Averroes/Ibn Rushd (1126-1198), dem arabischen Philosophen, Juristen, Arzt und Aufklärer, der durch die Sekundärliteratur, die er zu Aristoteles verfasst hat, einen enormen Einfluss auf die christliche Scholastik und somit auf die Renaissance hatte.
Im Reiseführer über Kairo gab es hinten einen kleinen Vokabelteil. Zahlen, Begrüßungen und ein paar nützliche Sätze. Zum Beispiel wie man einen Tee bestellt oder die Polizei ruft. Und die Monatsnamen.
Und hier fiel mir noch etwas Wichtiges auf. Parallel zu den Reiseführern las ich nämlich gerade zum ersten Mal in meinem Leben die Bibel, was ich ziemlich anstrengend fand. Ich quälte mich durch die seitenlangen Tempelinventare und Stammbäume von Leuten mit komischen Namen die mehrere hundert Jahre alt wurden, bevor sie endlich starben. Jedenfalls gab es auch in der Bibel hinten Vokabeln, beziehungsweise ein Glossar, wo unter anderem die babylonischen Monatsnamen aufgelistet waren. Und als ich dann die Monatsnamen im ägyptischen Reiseführer las, dachte ich: „Moment mal, das habe ich doch irgendwo schon einmal gesehen!“ Die waren nämlich so gut wie identisch mit den babylonischen. Mir wurde mehr und mehr klar, dass in der arabischen Sprache, abgesehen von der urbanen Dimension, die mich persönlich mehr interessierte, auch ganz alte Dinge gespeichert sind, alte Verbindungsschichten.
Dazu kam außerdem, dass ich mich zu jener Zeit sehr für babylonische Kunst interessierte, auch für altägyptische. Das ging soweit, dass ich eine zeitlang jeden Donnerstag mit Thermoskanne und Essen in Tupperware mehrere Stunden im Berliner Pergamon-Museum verbrachte, denn ab 18:00 war der Eintritt frei. Mir wurde bewusst, dass in den Gegenden, wo die antike Kunst herkommt, die mich am meisten interessierte, heute Arabisch gesprochen wird.
Dass ich dann begann, die Vokabeln hinten im Reiseführer zu lernen, war eine geradezu zwingende Konsequenz all dessen. Für die Aussprache lieh ich mir alles aus, was es an Kassetten in Berlins öffentlichen Bibliotheken gab. Ich legte mir ein Vokabelheftchen zu. An dieser Stelle sei gesagt, dass ich zu diesem Zeitpunkt keine einzige Person kannte, die Arabisch sprach. Ich hatte auch keine Idee, wo ich solche Personen hätte finden können. Das Internet nutzte ich damals selten und wenn, dann vom Internetcafé. Mein einziges sicheres Indiz für Arabophonie waren die kringeligen arabischen Schilder von Falafelläden oder Shishabars, die ich nicht entziffern konnte. Also setzte ich mich mit meinen Heftchen und Büchern in gewisse Shishaläden in der Sonnenallee, in denen außer mir nur Männer saßen, und lernte. Was manchmal einen lustigen Effekt hatte. Einmal zum Beispiel gingen zwei Mädchen mit Kopftuch vorbei, schauten erst verblüfft und lachten dann, und die eine zwinkerte mir, so empfand ich das: verschwörerisch zu. Ich glaube, sie fand das cool, dass ich da saß.
Einmal kam ein Mann an meinen Tisch und fragte mich, ob ich Arabisch lerne. Ich sagte ihm, naja, ich versuche es. Er fragte mich, ob ich denn einen Kurs besuche, was ich natürlich auch in Erwägung gezogen hatte, aber zu jenem Zeitpunkt hatte ich überhaupt kein Geld. Er sagte: „Also, ohne Kurs wird das eher nichts. Arabisch ist keine einfache Sprache.“ Ich fragte ihn, ob er denn einen Kurs wisse, der umsonst ist. Er überlegte, und dann sagte er: „Naja, in der So-und-so-Moschee.“ Ich schrieb mir den Namen der Moschee auf und ging hin. Im Nachhinein muss ich sagen: im Berliner Vergleich eine furchtbare Moschee, also, was die da lehren und so weiter, aber, wie bei dem Kulturschock-Reiseführer, konnte ich das damals natürlich nicht einordnen. Alles was mir irgendwie beim Lernen half war mir lieb. Über Zeit in der Moschee gäbe es eigentlich viel zu erzählen, aber ich fasse mich kurz: Ein Jahr lang besuchte ich den Kurs, einmal wöchentlich 40 Minuten Arabischunterricht, im Kurs mit mir ein Konvertit und eine Halbtunesierin, die die Religion ihres Vaters wiederentdecken wollte. Der Preis für den Unterricht - oder eben der Bonus, je nachdem, wie man es nahm - waren je 20 Minuten Islamunterricht im Anschluss. Der Lehrer (der privat auch Langstreckenläufer war) unterschätzte uns Schüler allerdings maßlos. Er unterrichtete uns, als hätten wir die Intelligenz von Zweijährigen, und so lernten wir in einem Jahr das, was wir in drei Wochen hätte lernen können. Aber einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Wir lernten das Alphabet und viele seltsame Vokabeln ohne Zusammenhang: Krone, Walfisch, Maulbeere, Hase, Auge, Mond. Immer, wenn ich etwas über die Grammatik wissen wollte, weil ich endlich einen Satz bauen lernen wollte, sagte der Lehrer, das sei noch viel zu schwierig für uns. Ich aber platzte vor Ungeduld. Irgendwann schenkte mir ein syrischer Mann in einem Shawarma-Laden in Frankfurt aus Mitleid ein arabisches Kinderbuch mit kleinen Geschichten. Mit diesem ging ich dann wiederum in Falafel-Läden in Berlin, bestellte mir Sandwiches und fragte die Verkäufer, mit dem Finger auf der aufgeschlagenen Seite: „Entschuldigen Sie bitte, wo ist hier das Verb?“ Mit dieser Methode, den Kassetten und dem Kurs in der Moschee konnte ich nach einem Jahr sehr einfache Sätze bilden. Und ich dachte mir: Oh Gott. So wird das nie etwas. Wenn ich in diesem Tempo weitermache, lerne ich das nie!
Kurzer Einschub: Ich konnte damals nicht benennen, was genau ich mit all dem wollte. Ich war ziemlich besessen und steckte alle Zeit und Energie, die mir neben Jobs und Kunststudium blieb, in die Sprache. Ich war 25, und konnte meinen Mitmenschen weder beruflich noch privat begründen, warum ich so viel in dieses Unterfangen investierte. Mein Lebenslauf war ohnehin schon alles andere als geradlinig. Immerhin studierte ich jetzt Kunst. Aber nun vernachlässigte ich mein Kunststudium, weil ich plötzlich aus unerfindlichen Gründen glaubte, Arabisch lernen zu müssen. Von Außen muss das seltsam ausgesehen haben. Oft kamen Fragen, von wegen, ob ich das mache um „nach meinen Wurzeln zu suchen“, weil ich nicht deutsch aussehe, was daran liegt, dass ich adoptiert bin. Tatsächlich liegen meine biologischen Wurzeln halb in Marokko, halb in der Türkei. Bei dieser Fragerei ging ich immer gleich an die Decke und bestritt alles. Oft gab ich dann folgende beleidigte Antwort: „Entschuldige bitte, aber kannst du nicht einfach akzeptieren, dass ich eben auch eine der vielen Europäer*Innen bin, die nach dem 11. September Arabisch lernen wollten?“ - Das mit dem 11. September hatte ich von irgendeinem Arabistik-Studenten in der HU-Mediathek aufgeschnappt. Dass nämlich die Arabistik-Fakultäten fast schon dicht gemacht hätten, weil kein Mensch mehr Arabisch lernen wollte. Aber dann kam der 11. September und plötzlich waren die Kurse überlaufen.
Mein Interesse war, wenn überhaupt nur vage begründbar, aber eben sehr stark. Die gute Nachricht ist, heute kann ich sagen: ich habe Arabisch gelernt, weil ich genau das machen wollte, was ich jetzt mache. Ich wollte wissen, was interessante Leute denken und schreiben, und ich wollte dafür sorgen, dass man davon in Europa mehr mitbekommt. Im Nachhinein gestehe ich mir auch ein, dass es natürlich eventuell indirekt etwas mit irgendeinem Wurzelwerk zu tun hatte. Aber wenn, dann so: Unbewusst wollte ich mir selbst und anderen beweisen, dass im weitesten Sinne die Region, wo die Leute, denen ich ähnlich sehe herkommen, nicht so irrelevant und negativ belegt ist, wie ich es von meinem Umfeld immer zwischen den Zeilen vermittelt bekommen habe.
Nun zurück zur Geschichte. Ich dachte mir also: Wenn ich in dem Tempo weitermache, lerne ich diese Sprache niemals. Ich muss eine Weile in ein arabisches Land gehen, sonst wird das nichts. Ich fragte an meiner Uni nach Austauschprogrammen, aber die reichten nach Osten hin nur bis Istanbul. Die Frau bei der Studentenberatung sagte mir: „Nehmen Sie sich doch einfach ein Urlaubssemester und organisieren sich den Auslandsaufenthalt selbst.“ So machte ich es dann. Ich wollte nach Kairo, wegen dem Reiseführer, der Größe und den krassen Stadtlandschaften. Ich weiß nicht mehr, warum ich am Ende nach Syrien gegangen bin. Wahrscheinlich hatte mir irgendjemand zu Syrien geraten, dass es dort besser zum Lernen sei, und billiger. Und in einem Club in München habe ich dann zufällig einen Typen kennengelernt, der schon einmal in Damaskus war. Der gab mir die Festnetznummer einer Frau, die Zimmer in der Altstadt von Damaskus vermietete. Ich erinnere mich gut an das Skypegespräch mit der Dame. Vor Nervosität schwitzend versuchte ich sie in meinen gebrochenen drei Sätzen Hocharabisch zu fragen, ob sie mir ab März ein Zimmer vermieten könnte. Es muss sich sehr ulkig für sie angehört haben, aber andererseits war sie so etwas wahrscheinlich gewohnt. Nach qualvollen Minuten war meine Frage zwar bei ihr angekommen, doch von ihrer Antwort verstand ich nur Bahnhof. Am Ende unseres Gesprächs glaubte ich herausgehört zu haben, dass ich bei ihr einziehen kann. Gottseidank hatte ich richtig gelegen.
Ich sparte etwas Geld, beantragte ein Visum bei der syrischen Botschaft in Berlin, und im März 2006 flog ich dann nach Damaskus. In Damaskus angekommen schrieb ich mich sofort in einen Sprachkurs ein. Aber nach dem ersten Aufwachen in meinem Zimmer merkte ich, dass ich mit drei Deutschen und einem deutsch sprechenden Jemeniten zusammenlebte, in einem Viertel namens Bab Touma, in dem all die Sprachstudenten aus westlichen Ländern, die in Syrien Arabisch lernen wollten lebten. Viele von ihnen waren schon seit einem Jahr oder mehr dort. Mein Eindruck war, dass sich während ihrer Zeit in Damaskus ihr Englisch erheblich verbessert hatte. Sie hingen hauptsächlich miteinander herum, also Deutsche, Briten, Italiener, Amis und Japaner, und wenn sie mit Syrern wirklich befreundet waren, dann nur mit solchen, die sehr gut Englisch sprachen. Diese Sprachstudenten waren für mich wie eine negative Zukunftsvision meiner selbst. Ich beschloss, das leicht von der Zunge kommende Englisch zu vermeiden, wie es nur ging. Ich wollte da durch, wollte alles durch das Nadelöhr meines beschissenen Arabisch pressen. Ich hatte für mein Vorhaben schließlich nur ein Urlaubssemester, also höchstens sechs Monate. Ich hatte es eilig. Auf die Frage von Einheimischen, die nach zwei Sätzen meines unerträglichen Kauderwelschs hilfsbereit fragten: “Do you speak English?" antwortete deshalb ich immer etwas wie: Tut mir leid, ich mag ungebildet wirken, aber ich spreche kein Englisch. Entweder Sie sprechen Deutsch, oder Sie müssen sich mit meinem Baby-Hocharabisch arrangieren.
Ich besuchte täglich den Sprachkurs und versuchte auf dem Weg vom Kurs nach Hause so viel es ging mit allen möglichen Leuten zu quatschen, aber zu Hause waren die Amtssprachen Deutsch und Englisch. Wieder wußte ich, so konnte das nichts werden, nicht in sechs Monaten. Also suchte ich nach einer Möglichkeit, mit Syrern zusammen zu wohnen, am besten in einer WG, was aber gar nicht so einfach war, denn das Modell WG war sowohl aus gesellschaftlichen, als auch aus ökonomischen Gründen nicht so verbreitet wie in Deutschland.
Aber dann hatte ich großes Glück. Nach einem Monat verzweifelter Suche und vielen Fettnäpfchen, zog ich in eine großartige WG am Stadtrand von Damaskus. Erst mit zwei Jungs, irgendwann wurden es drei und am Ende waren es vier. Die WG lag in in einer Gegend namens Jaramana, was „Dscharamana“ ausgesprochen wird. Jaramana heißt angeblich so aufgrund eines heiligen Germanus, der dort mal gelebt haben soll. But still, there were no Germans. Einer meiner Mitbewohner, ein gebürtiger Dscharamaner, erzählte mir, dass er als kleiner Junge seinen Vater, der eine Reparaturwerkstatt besaß, beim Kauf eines neuen Werkzeugs oft sagen hörte: Das hier ist Topqualität! Es ist nämlich Made in Germany. Mein Mitbewohner hatte sich dann immer gewundert, was daran so besonders sein sollte, dass dieses Werkzeug in Dscharamana hergestellt war.
Mit meinen damaligen Mitbewohnern bin ich bis heute sehr gut befreundet. Meinen Kurs brach ich nach drei Wochen ab, es ging mir zu langsam. Wir mussten sehr viele Vokabeln büffeln, um im Unterricht mitzukommen. Doch die waren meistens zu Themen, die mir im Alltag wenig weiterhalfen. Zum Beispiel lernten wir alles, was man über das arabische Pferd wissen muss. Aber in meiner neuen WG lernte es sich ohnehin viel besser. Einer meiner Mitbewohner, der bis heute einer meiner besten Freunde ist und mittlerweile in Berlin lebt, studierte Philosophie und lernte Deutsch. Wir verbrachten lange Abende damit, „Regeln für den Menschenpark“ von Sloterdijk oder die Regie-Notizen zu Pasolinis Matthäusevangelium ins Arabische zu übersetzen. Den besten Intensivunterricht in der Anfangszeit gab mir jedoch die Beziehungskrise eines befreundeten Pärchens. Zum ersten und letzten Mal in meinem Leben habe ich versucht, zwischen zwei Menschen, die miteinander in einer Liebesbeziehung sind, einen Streit zu schlichten. Nächtelang hörte ich mir ihre jeweiligen Versionen des Problems an, versuchte zu beraten und zu vermitteln. Am Ende waren sie wieder ein Herz und eine Seele, wollten aber dafür mit mir nichts mehr zu tun haben. Das war damals hart für mich, aber immerhin hat mein Arabisch durch mein Beziehungscoaching einen enormen Quantensprung gemacht.
Das in etwa war meine Methode. Nach drei Monaten konnte ich mich relativ fließend über alles Wichtige auf Hocharabisch unterhalten, hatte es aber satt, mir wie eine Zeichentrickfigur vorzukommen, wenn ich Brot kaufen ging und dem Bäcker meine Bestellung in Hocharabisch sagen musste. Also beeilte ich mich, Syrisch-Arabisch zu lernen, um endlich wie ein normaler Mensch zu klingen. Nach sechs Monaten kehrte ich nach Berlin zurück. Inzwischen konnte ich fließend syrischen Dialekt sprechen, aber es war mir noch nicht genug. Ich suchte mir einen arabischen Freundeskreis in Berlin zusammen (teilweise mithilfe von Google), zwang mich anderthalb Jahre lang, mein Tagebuch auf Arabisch zu führen (eine quälende Erfahrung), und verbot mir, Nachrichten oder Bücher in einer anderen Sprache zu lesen als Arabisch.
Mittlerweile spreche ich die Sprache seit neun Jahren. Angeblich akzentfrei, zumindest wundern sich die meisten arabischen Leute die ich kennenlerne immer, wenn sie irgendwann erfahren, dass ich nicht von klein auf Arabisch kann. Und jedes Mal, wenn mir jemand sagt „Wow, Arabisch wollte ich auch schon immer mal lernen. Aber es ist einfach viel zu schwer!“, sage ich, dass es sich dabei meiner Meinung nach um einen Mythos handelt, der sowohl vom Orientalismus, als auch vom arabischen Nationalismus fleißig aufrechterhalten wird.
Wer weiß, wahrscheinlich sind wir gerade weit davon entfernt, aber allgemein wünsche ich mir ein anderes Geographieverständnis, ein weniger hysterisches, weniger fetischistisches. Ich wünsche mir, dass die Wahrnehmung des Grabens zwischen der westlichen und der östlichen und der südlichen und der nördlichen Küste des Mittelmeeres endlich wieder realistisch wird.
Sandra Hetzl